Ever17 ist eine Visual Novel über eine Gruppe von Menschen die in einem Unterwasser-Vergnügungspark gefangen sind und innerhalb von sieben Tagen einen Weg an die Oberfläche finden müssen
Klingt an sich wie ein interessantes Konzept, aber das allein hätte mich nicht davon überzeugt die Visual Novel zu lesen. Die Story wurde allerdings in höchsten Tönen gelobt und sollte sogar dem Nintendo DS-Spiel 9 Hours, 9 Persons, 9 Doors überlegen sein. Da mir dieses gefallen hat und der Hauptverantwortliche auch an Ever17 beteiligt war, musste ich die Visual Novel natürlich anschauen, zumal sie einige geniale Twists parat halten sollte.
Und das stimmt tatsächlich. Ich hatte zwar eine generelle Idee was los sein könnte, aber die Twists haben mich dann doch überrascht. Das Problem ist allerdings, dass man sich bis zu diesen Enthüllungen geradezu durchquälen muss.
Die Story beginnt zwar auf interessante Art und Weise, jedenfalls sobald das Chaos ausbricht und der Vergnügungspark überflutet wird, aber die Spannung verfliegt wie im Nu und kehrt nur selten zurück. Selbst nachdem die Gruppe erfährt, dass die Struktur in sieben Tagen kollabieren wird, verhalten sie sich relativ gelassen. Man könnte glatt meinen sie wären auf einem Schulausflug, so oft wie sie herumalbern oder irgendwelche Spiele spielen.
Ich verstehe natürlich, dass sie versuchen sich vom Ernst ihrer Lage abzulenken. Aber mehr Spannung hätte der Story sicher nicht geschadet. Besseres Pacing wäre allerdings noch sinnvoller gewesen. Die ersten paar Tage sind nämlich geradezu langweilig. Erst gegen Ende wird es wirklich interessant. Jedenfalls wenn man die Story in der richtigen Reihenfolge spielt (Tsugumi-Sora-You-Sara-Coco). Takeshis Routen haben nämlich ein interessanteres Ende als Kids. Letztere fand ich sogar schwachsinnig bis im wahren Ende erklärt wurde wie es dazu kam.
Dass es zwei unterschiedliche Protagonisten gibt bringt außerdem weitere Probleme mit sich. Es ist zwar interessant die Story aus unterschiedlichen Perspektiven zu erleben, aber ein Großteil der Ereignisse bleibt identisch, nur dass sich der Text nicht mehr überspringen lässt. Das lässt sich in den Optionen zwar ändern, aber dann verpasst man Szenen die tatsächlich neu sind.
Das führt schlussendlich dazu, dass sich manche Ereignisse bis zu fünf Mal wiederholen! Selbst das wahre Ende hält viele Szenen parat die man bereits gesehen hat. Es mag hier und da kleinere Unterschiede geben, aber die machen die endlosen Wiederholungen keineswegs erträglicher. Da fand ich das Konzept von 9 Hours, 9 Persons, 9 Doors um Welten besser, zumal die einzelnen Routen keinen charakterspezifischen Fokus hatten der auf eine Romanze hinauslief.
Darauf kann Ever17 zwar nicht verzichten, aber ich hätte es sinnvoller gefunden das Spiel auf drei Routen zu komprimieren. Eine mit Takeshi, eine mit Kid und dann natürlich die finale Route, wo ihre Blickwinkel überlappen. Dann wäre das Spiel vermutlich nicht ganz so langweilig gewesen.
Wären die Charaktere dann nicht viel zu kurz gekommen? Kann sein, aber wenn ich ehrlich bin fand ich sie nicht so interessant, dass ich für jeden eine Route gebraucht hätte. Die wichtigsten Ereignisse hätten sicherlich miteinander verbunden werden können ohne irgendwas dafür opfern zu müssen.
Eine der Frauen fand ich sogar extrem nervig, und zwar Tsugumi. Sie meckert die ganze Zeit nur rum, kapselt sich ab, und wird teilweise sogar handgreiflich. Das macht in manchen Routen zwar mehr Sinn als in anderen, aber trotzdem bin ich der Meinung, dass sie viel zu oft überreagiert.
Und Coco dürfte einigen nicht gefallen, da sie sich extrem kindisch verhält. Macht bei ihrem Alter zwar Sinn, aber dadurch kommt erst recht keine Stimmung auf. Ich fand sie zwar erträglich, aber dank anderer Visual Novels und Anime bin ich an Charaktere wie sie gewöhnt.
Von daher weiß ich nicht, wem ich Ever17 empfehlen könnte. Visual Novel Anfänger sollten aber keinesfalls zugreifen. Steins;Gate, Clannad oder Little Busters sind dann doch die besseren Optionen. Allerdings werden die erst später dramatisch. Wer nicht so lange warten will könnte Umineko lesen. Das ist allerdings mehr Buch als Spiel, mit nur einer einzigen Entscheidung sowie ein paar Rätseln. Außerdem ist der Anfang sehr langatmig und wird mehrfach wiederholt, allerdings mit größeren Änderungen als in den meisten Visual Novels.
Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich Ever17 allein wegen seiner Twists empfehlen könnte. Immerhin dauert es unzählige Stunden um zu diesen zu gelangen, selbst wenn bereits gelesene oder ähnliche Texte übersprungen werden. Von daher müsst ihr euch wohl selber ein Bild von machen. Sagt aber nicht, dass ich euch nicht gewarnt hätte.
Dank dem furchtbaren Pacing habe ich momentan auch keine Lust die anderen Teile der Serie (Never7 und Remember11) zu lesen. Die sollen zwar nicht direkt zusammenhängen, aber zumindest im selben Universum spielen. Nur dass der Vorgänger noch schlimmere Slice of Life-Elemente als Ever17 hat, während der Nachfolger zwar eine bessere Story aber dafür ein furchtbares Ende hat.
Es gibt auch ein Spinoff namens 12Riven, das mittlerweile sogar übersetzt aber noch nicht editiert wurde. Allerdings sollte das als Auftakt einer Serie dienen die aufgrund schlechter Verkaufszahlen eingestampft wurde. Spricht nicht gerade für das Spiel...
Von daher werde ich wohl eine andere Visual Novel aus meinem Backlog wählen müssen. Wann das passiert? Keine Ahnung. Wenn ich Lust drauf habe.
Abschließende Bewertung
Ever17 erzählt zwar eine interessante Story, aber sie nimmt sich viel zu selten ernst und die wirklich genialen Twists kommen erst nach unzähligen Stunden und vier Routen mit größtenteils identischen Ereignissen.
Positive Aspekte von Ever17
- die einzelnen Routen sind ganz okay
- die Musik ist nicht unbedingt einprägsam, aber schlecht sind die Stücke keineswegs
- die Twists habe ich nicht kommen sehen, auch wenn ich eine generelle Idee hatte was los sein könnte
Negative Aspekte von Ever17
- es kommt viel zu selten Spannung auf
- manche Charaktere könnten sehr nervig sein
- dank zwei unterschiedlicher Protagonisten und fünf Routen werden manche Ereignisse bis zu fünf Mal gezeigt und lassen sich teilweise trotzdem nicht überspringen